Viele Wege führen nach Rapcha….

…einer davon über Lukla.

Vom 25.12.2018 bis 05.01.2019 fand unsere Projektreise nach Nepal statt. Renate Kotz erzählt in Ihrem Reisebericht über die aufregende Landung in Lukla, einer Toilette mitten auf der Strasse, mystische Orte in Rapcha, einen Blick in die Kristallkugel des Dorfes und einem unvorhergesehenem Treffen mit einem Mt. Everest-Besteiger.

Mein Mann Achim und ich machten uns am 25.12. abends auf den Weg zum Düsseldorfer Flughafen. Von dort aus flogen wir via Abu Dhabi nach Kathmandu, wo wir am 26.12. am späten Nachmittag landeten. Die Einreiseformalitäten waren schnell erledigt und schon bald sassen wir im Auto, plauderten fröhlich mit unserem Freund Pancha und besprachen den Reiseverlauf für die nächsten Tage. Am nächsten Tag sollte unsere Maschine nach Phaplu frühmorgens starten. Das hiess: Abholung am Hotel um 05:30 Uhr. „Uff. Das wird ne kurze Nacht!“, dachte ich mir und war gedanklich schon am Schlummern, als wir im Hotel ankamen. Dort wartete meine Tante Brigitte auf uns, die bereits am Vormittag in Kathmandu gelandet war. Das Hallo war groß, die Wiedersehensfreude noch größer und schon bald war die Müdigkeit verflogen und wir sassen bei einem gemütlichen Abendessen und plauderten angeregt über die bisherigen Entwicklungen im Dorf. Brigitte war sehr neugierig darauf, was sich seit ihrem letzten Besuch im März 2015 dort alles getan hatte. Damals war sie gemeinsam mit ihrem Mann und Pancha nach Rapcha gewandert um dort einige Tage zu verbringen, bevor sie zu einer großen Trekkingtour nach Gokyo aufbrachen. Einen Monat später bebte in Nepal die Erde und stürzte das ganze Land in eine tiefe Krise…

Am nächsten Tag holte uns Pancha am Hotel ab und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zum Inlandsflughafen. Draussen herrschte noch tiefste Dunkelheit und irgendwie mochte ich gar nicht richtig wach werden. Die Nachricht, dass unser Flug nach Phaplu aufgrund von Passagiermangel gestrichen wurde, hat mich dann doch schlagartig wach gemacht! Ja, das ist Nepal. Man kann alles bis ins letzte Detail planen, aber es bringt nichts. Das Land macht ja doch seine eigenen Pläne. Aber Pancha hatte schon Plan B zur Hand. Der lautete: Flug nach Lukla. Dort einen Kaffee trinken und hoffen, dass uns eine Cargo Maschine nach Phaplu mitnimmt. Aha. Was sehr abenteuerlich klingt, ist es auch. Lukla – der gefährlichste Flughafen der Welt! Dort sollen wir landen? Bisher bin ich immer nur von dort gestartet, das ist zwar auch nicht ohne, aber die tödlichen Unfälle passierten immer nur bei den Landungen. Nun gut, die Götter werden schon wissen, was sie tun. Also ab nach Lukla.

Die Hände zu Fäusten geballt, die Augen fest zugekniffen. So sass ich in meinem Flugzeugsitz direkt hinter den beiden Piloten in Reihe Eins beim Landeanflug auf Lukla. Die kleine Propellermaschine setzte auf, die Vollbremsung liess nicht lange auf sich warten und endlich kamen wir zum Stehen! Phu! Die erste Hürde war geschafft. Unser Gepäck wurde ausgeladen, wir setzten uns in ein Kaffee gegenüber des Flughafens und Pancha organisierte in der Zwischenzeit unseren Weiterflug. Das Wetter sass uns etwas im Nacken, denn die Flugzeuge können nur starten und landen, wenn die Sicht gut genug ist. Und da für Lukla am gleichen Tag noch Schneefall vorhergesagt war, war es ein Spiel auf Zeit. Zwei Stunden später sassen wir dann tatsächlich im Cargo Flugzeug nach Phaplu. Kaum zu glauben! Nun war ich wieder in meinem Element. Das Gepäck geschultert machten wir uns auf den Weg zum Ausgang des Flughafengeländes. Dort wartete bereits ein Teil unserer Mannschaft aus Rapcha auf uns. Asis, Nabin und Bisan nahmen uns die Taschen ab und wir gingen zu einem kleinen Teehaus in Phaplu, wo wir noch schnell ein kleines Mittagessen bekamen, bevor wir uns auf den Fussweg nach Rapcha machten. Im Teehäuschen war dann der Rest der Mannschaft schon schwer am Kochen und Brutzeln. Khasbir, Kaman, Santos, Him! Wie schön, euch alle wiederzusehen! Ich freute mich sehr darüber, in diese mir mittlerweile so vertrauten Gesichter zu schauen. Kurze Zeit später machte sich unsere Karawane auf den Weg Richtung Rapcha.

Wie immer schlugen wir auf dem Hochplateau Ratnangi Danda (3200m) unser Lager für die Nacht auf. Die Zelte waren schnell aufgebaut und die Küchencrew richtete sich in ihrer behelfsmässigen Küche ein. Die Temperaturen waren alles andere, als angenehm und wir stellten uns auf eine eisige Nacht ein. Die Temperatur sollte bis auf -13 Grad fallen. Zusätzliche Kleiderschichten wurden angezogen, Wollmützen und Kapuzen aufgesetzt und ein Lagerfeuer entfacht. Ein besonderes Highlight gab uns die Crew vor dem Schlafengehen mit: Wärmflaschen! Oh, welch eine Wohltat! Die Eiszehen waren schnell wieder auf Temperatur gebracht und schon bald stellte sich seliger Schlaf ein. Am nächsten Tag war der Himmel wolkenverhangen und trüb, das tat der guten Laune jedoch keinen Abbruch und wir machten uns weiter auf den Weg ins Dorf. Pünktlich zur Mittagspause setzte dann der Schneefall ein. Regenjacken und Regenschutz für die Taschen und Rucksäcke wurden hervorgeholt und nach einer kurzen Rast ging es weiter bergab nach Rapcha. Der Schnee vereinfachte den Abstieg nicht gerade. Die Steine und Wege waren sehr glatt und man musste höllisch aufpassen, um nicht auf dem Hosenboden zu landen. Ein gebrochenes Bein ist hier absolut nicht zu gebrauchen!

Am späten Nachmittag kamen wir dann endlich in Rapcha an. Wie immer durften wir auf dem Grundstück von Panchas Bruder Chandra campieren. Aber wo ist denn sein Kartoffelacker hin, wo wir ansonsten immer die Zelte aufgestellt hatten? Der Acker musste einer Schotterstrasse weichen und auf dieser wurden dann kurzerhand unsere Zelte aufgebaut mitsamt dem Toilettenzelt. Das war schon recht ungewöhnlich, aber es wurde uns versichert, dass auf dieser „Strasse“ keiner fährt. Naja, fährt vielleicht nicht, aber gegangen sind dort viele ;o) Zuerst einmal mussten wir uns ein wenig vom langen Marsch ausruhen und „ankommen“. Ein Begrüßungstrunk in Form von Roksi (Hirseschnaps) wurde uns gereicht und nach einem frühen Abendessen sanken wir erschöpft in unsere Zelte und schlummerten schon bald tief und fest. Nach einer erholsamen Nacht frühstückten wir bei schönstem Sonnenschein und machten danach einen kleinen Erkundungsspaziergang. Als wir oberhalb der Schule der Schotterstrasse folgten, trauten wir unseren Augen nicht. Zwei Traktoren und zwei Radlader waren dort mit Erdbewegungen beschäftigt. Pancha erzählte uns, dass das zuständige Ministerium den Bau eines Fußballplatzes mit USD 20.000 sponsert und dieser so bald wie möglich fertiggestellt werden soll. Rapcha soll aufgrund seiner Lage und seiner großen Schule eine Art „Sportzentrum“ werden. Na, das sind ja ganz schön große Pläne für so ein kleines Dorf. Da heute ein Samstag war, blieben die Schule und der Kindergarten geschlossen. Die Dorfbewohner waren mit Wäschewaschen beschäftigt, betrieben Körperhygiene und viele gönnten sich einen neuen Haarschnitt. Kamans Frau Rasdhani lud uns auf einen Tee in ihr Haus ein und wir verbrachten dort einen gemütlichen Nachmittag am offenen Feuer und wir versuchten uns mit Händen und Füßen zu verständigen. Pancha war eifrig damit beschäftig, alles für das fünfzigjährige Jubiläum, welches die Schule in wenigen Tagen feiern wird, vorzubereiten.

Am nächsten Tag überraschten wir nach dem Frühstück die Erzieherin Narmaya und die Kinder im Kindergarten. Ich freute mich sehr darüber, Narmaya wiederzusehen und auch ihr stand die Wiedersehensfreude ins Gesicht geschrieben.  Mit viel Engagement und Begeisterung leitet sie den Kindergarten und setzt ihr Kenntnisse und Fähigkeiten, welche Sie bei einer Ausbildung in Kathmandu im letzten Sommer vertiefen konnte, gekonnt ein.  Mit Narmaya haben wir einen wahren Glücksgriff getan. Natürlich kamen wir nicht mit leeren Händen und überreichten Buntstifte und Malbücher an die Kinder. Auch einen kleinen Lego-Bausatz hatten wir mit dabei und sofort wurde fleissig gebaut und ausprobiert. Aus dem weiteren Gespräch mit Narmaya und dem Kindergarten-Komitee ergab sich, dass die zweite Stelle der Erzieherin immer noch nicht besetzt ist, jedoch zwei aussichtsreiche Bewerberinnen im Auswahlverfahren stehen. Um die derzeitige Belastung für Narmaya zu reduzieren, haben wir besprochen, dass die Mütter der Kindergartenkinder zusätzlich als Helferinnen stundenweise eingesetzt werden könnten. Dafür sollen sie eine kleine Aufwandspauschale erhalten. Ein weiterer Diskussionspunkt war auch das Gehalt von Narmaya. Wir sicherten dem Komitee zu, ihr Gehalt auch für die nächsten zwölf Monate auf 70 € monatlich aufzustocken, da der Staat nicht bereit sei, ihr einen angemessenen Lohn zu zahlen. Der Beruf der Erzieherin ist in Nepal immer noch nicht offiziell anerkannt und daher erhält sie nur eine staatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von circa 46 € monatlich.

Am Nachmittag durften wir eine wichtige, religiöse Stätte in Rapcha besuchen. Dieser Ort wird „Waas“ genannt und es werden dort dreimal im Jahr die Naturgötter angebetet, um die Bevölkerung vor Katastrophen und Unheil zu bewahren. Die meisten Einwohner des Dorfes sind Animisten und gehören zum Volk der Khaling Rai. Von daher ist es verständlich, dass die Kultstätte einen extrem hohen Stellenwert im Dorf hat und wir fühlten uns geehrt, dass Pancha und Bisan uns diesen besonderen Platz gezeigt haben. Nach der Besichtigung wurden wir auf einen Tee in Bisans Elternhaus eingeladen, das direkt neben dem „Waas“ steht. Wir tranken gerade den ersten Schluck von unserem Tee da rief die Nachbarin ganz aufgeregt nach Bisan. Dieser sprang sofort auf und rannte nach draussen. Das Hausschwein der Nachbarin lag in seinem Stall und zuckte und schnaufte ganz schwer. Die Nachbarin erzählte, dass das Schwein bis vor kurzem noch quietschfidel war, als sie es gefüttert hat und sie nicht weiss, was mit dem Schwein los ist. In ihrer Verzweiflung rief sie Bisan in der Hoffnung, er könnte dem armen Tier helfen. Auch wir gingen nach draussen, um nach dem Schwein zu sehen und erlebten gerade, wie es seinen letzten Atemzug tat. Die Betroffenheit über den plötzlichen Tod des Tiers war der der Besitzerin ins Gesicht geschrieben, denn für sie ist es mehr, als nur ein Nutztier. Wie sollte sie das bloß ihrem Mann erklären? Er wird bestimmt sehr verärgert darüber sein und ihr vorhalten, sie hätte nicht gut genug aufgepasst. Da wurde mir wieder einmal klar, wie sehr diese Menschen dort in den abgelegenen Bergregionen Nepals auf das angwiesen sind, was sie haben. Ein unvorhergesehener Vorfall, wie der Tod eines Nutztieres, kann dann schon existenzbedrohend sein.

Für den 31.12. hatte sich das Schulkomitee überlegt, die Generalprobe für das Golden Jubilee auf diesen Tag zu legen. So bekamen wir einen kleinen Einblick in das Festprogramm und konnten unsere Geldspende in Höhe von € 5.000 an die Schule überreichen. Die Schüler zeigten uns ihre einstudierten Tänze und Vizedirektor Dilip Chandra Rai begrüßte uns in einer kurzen Ansprache. Es war eine sehr schöne, kleine Feier und wir waren von den Tanzeinlagen schwer beeindruckt. Im Anschluß gab es ein kleinen Imbiss und danach erfolgte das offizielle Meeting mit dem Schulkomitee, mit dem wir die weiteren Zukunftsprojekte für das Dorf im Allgemeinen und die Schule besprachen. Seit meinem letzten Besuch im Dezember 2017 ist eine deutliche Veränderung des Dorfbildes sichtbar. Waren früher die Bauernhöfe und Hütten eher weit gestreut, so bauen nun viele Dorfbewohner in unmittelbarer Straßennähe. Es gibt sogar einige kleine Verkaufsbuden und Teehäuschen. Die Hoffnung, dass die Strasse weiter bis nach Lukla (berühmter Ausgangspunkt für Everest-Touren und bisher nur mit dem Kleinflugzeug erreichbar) ausgebaut wird, gibt den Dorfbewohnern Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wie bereits im letztjährigen Meeting mit dem Schulkomitee besprochen, hat Re:Help die Finanzierung für den Bau der Schülerunterkünfte zugesichert. Der dafür in Frage kommende Bauplatz und die bereits erstellten Pläne wurden noch einmal besprochen. Aus der Diskussion ergab sich, dass der Bauplatz und der Grundriss der Gebäude nicht optimal sind und neue Zeichnungen und Kostenberechnungen seitens des Schulkomitees erstellt werden müssen. Sobald alle Unklarheiten beseitigt sind, wird mit dem Bau der Mädchenunterkunft begonnen. Die finanziellen Mittel dafür stehen Re:Help zur Verfügung. Für den Bau der Jungenunterkunft müssen die Gelder noch gesammelt werden. Die Shree Basakhali Secondary School hat im ganzen Umkreis einen sehr guten Ruf und viele Schüler nehmen einen weiten Schulweg auf sich, um dort den Unterricht besuchen zu können. „Teilweise gehen die Kinder bis zu zwei Stunden pro Strecke“, erzählte uns Pancha, „da bleibt für die Hausaufgaben und zum Lernen nicht mehr viel Zeit, zumal die meisten Kinder auch auf dem Bauernhof ihrer Eltern mithelfen müssen.“

Das Komitee informierte uns über weitere Zukunftsprojekte, welche in Rapcha realisiert werden sollen. Da ist zum einen der sich schon im Bau befindliche Fußballplatz oberhalb des Schulgeländes. Hier sollen sich zukünftig die Sportler aus der ganzen Region bei Turnieren messen. Dann soll noch etwas unterhalb des neuen Sportplatzes eine Art „Freizeitpark“ entstehen auf welchem ein großer Gedenkstein mit allen Namen der Spender stehen sollen. Die Religionsstätte „Waas“, welche sich offen im freien Gelände befindet, soll ein großes Kuppeldach erhalten. Die Schule soll auf Klasse 11 und 12 erweitert werden. Die dafür erforderlichen Klassenräume sind dafür vorhanden. Unser Schuldirektor Kumar Shrestha wird in gut einem Jahr in den Ruhestand gehen, der Schule aber so lange es geht beratend zur Verfügung stehen. Ein potenzieller Nachfolger ist gefunden, aber noch nicht offiziell ernannt. In Rapcha ist also mächtig viel los! Und so neigte sich der letzte Tag des Jahres 2018 dem Ende zu und wir gingen zurück zu unseren Zelten, um uns wieder mit zusätzlichen Kleiderschichten zu versorgen und uns in Chandras Gemeinschaftsraum zum Abendessen zu treffen.

Die Küchencrew derweilen hatte alle Hände voll zu tun. Denn auch wenn die Nepalesen mit unserem Silvester so überhaupts nichts anfangen können, da im nepalesischen Kalender der Jahresanfang im April liegt, so wussten Kaman, Him und Khasbir natürlich, dass es für uns ein ganz besonderer Abend ist. Pancha hatte eine kleine Ziege spendiert und diese wurde nun von den dreien über einem offenen Feuer in Chandras Garten gegrillt. Wir bekamen also ein ganz besonderes Silvestermenü serviert und die mit Reis und Kartoffeln gefüllte und gegrillte Ziege schmeckte einfach nur köstlich! Im Chandras Haus war nun reger Betrieb und es herrschte ein Kommen und Gehen, ein Begrüßen und Verabschieden, ein Feiern, Singen und Musizieren, welches ich so noch nie dort erlebt habe. Ich blickte in die vertrauten, vom Wetter gegerbten und vom harten Leben gezeichneten Gesichter und sah in jedem einzelnen die pure Lebensfreude und eine Energie, die mir vor Rührung die Tränen in die Augen trieb. Es wurde getanzt, gelacht und gefeiert und als dann auch noch das beliebte Volkslied Rhesham Firiri angestimmt wurde, war ich einfach nur glückselig und konnte mir in diesem Moment keinen schöneren Ort der Welt vorstellen, als der, an dem ich mich gerade befand. Einzig allein die Müdigkeit trieb uns in unsere Zelte und kurz nach 23 Uhr war der Zauber vorbei. Dass wir nicht bis Mitternacht ausgehalten haben, fand keiner dramatisch. Das neue Jahr kommt doch so oder so. Und was geht schon über ausreichend Schlaf, überhaupt wenn der Aufbruch in Richtung Phaplu am nächsten Tag bevorstand?

Am nächsten Morgen war schon alles auf den Beinen als wir noch recht verschlafen aus unseren Zelten krochen. Unser Team bereitete alles für unsere Abreise vor und auch wir fingen an, unsere Taschen zu packen und uns reisefertig zu machen. Vorher überreichten wir jedoch noch die von uns mitgebrachten T-Shirts mit Re:Help Aufdruck an unser Team. Die Freude darüber war groß und sofort wurden die Shirts anprobiert und vor Chandras Haus ein Gruppenbild gemacht. Narmaya kam auch vorbei – sie wollte unseren Abschied vom Dorf auf keinen Fall verpassen und sich nocheinmal persönlich bei uns dafür bedanken, dass wir sie so unglaublich fördern und unterstützen. „Please come back to Rapcha!“ bat sie mich und wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augen. Allein dieser Satz zeigte mir, wie wichtig unsere Arbeit in diesem abgelegenem Teil Nepals ist. Die Menschen brauchen jemanden, der an sie und die Zukunft dieses Dorfes glaubt und dafür danken sie es einem mit ihren Worten und Gesten.

Für unseren Rückweg nach Phaplu hatten wir gemeinsam mit Pancha überlegt, ob man nicht auch eine andere Route gehen könnte, als die von uns bekannte. Es wurde beschlossen, dass wir einen kleinen Umweg über das buddhistische Kloster von Ghumne gehen werden, wo wir unsere Zelte aufschlagen und übernachten werden. Am Folgetag sollte dann von dort aus der Anstieg nach Ratnangi Danda erfolgen und wir am selben Tag Phaplu erreichen. Und genau so wurde es gemacht! Der Pfad führte uns weg von Rapcha, aber wir blieben einige Male stehen, um uns umzudrehen und einen letzten Blick darauf zu erhaschen. Viel zu schnell war mir die Zeit dort vergangen und ich war etwas traurig, dass der Besuch dort schon wieder vorbei war. „Aber ich komme ja bald wieder.“, murmelte ich vor mir hin, um mir selber den Abschied zu erleichtern. Und so wanderten wir jeder in seine eigenen Gedanken versunken stundenlang still vor uns hin, bis wir am Nachmittag die wunderschöne Klosteranlage erreichten, die oberhalb des kleinen Örtchens Ghumne trohnt. Pancha begleitete uns bei einem kleinem Rundgang und die Anlage schien verlassen zu sein, jedoch steckte schon bald ein junger Mönch seinen Kopf aus einer Tür des Nebengebäudes und bat uns auf einen Tee hinein. Er erzählte uns, dass die Mönchsschule hier im Kloster im Winter geschlossen ist und er gemeinsam mit zwei anderen Klosterschülern die Stellung hält. Brrr! Das stelle ich mir ziemlich kalt und einsam vor. Aber immerhin befand sich im Aufenhaltsraum ein großer Herd in dem ein mächtiges Feuer brannte. Im Anschluß gingen wir zurück zu unserem Team, dass sich schon fleissig im Aufbau unserer Zelte befand. Wir durften auf dem Acker eines alten Ehepaars campieren und sogar ihre Küche als Kochgelegenheit und Aufenthaltsraum benutzen. Der Hofhund kam angerannt und wedelte freudig mit seinem Schwänzchen, als ob wir alte Bekannte wären.

Am nächsten Tag machten wir uns zeitig auf den Weg nach Ratnangi Danda. Stundenlang ging es nun steil bergauf und der Hofhund, der uns gestern so freudig begrüßte, wollte sich nicht davon abhalten lassen, uns auf dem Weg nach Phaplu zu begleiten. Nun hatten wir also auch noch einen Hirtenhund mit dabei. Beim Abstieg nach Phaplu kam uns ein junger Mönch entgegen und da entschloss sich der Hund endlich, den Heimweg in Begleitung des Mönchs anzutreten. Wir hatten schon darüber sinniert, was wir denn mit dem Vierbeiner machen sollen, wenn er uns bis nach Phaplu begleitet. Wir konnten ihn ja schlecht mit in die Unterkunft nehmen.

Als wir am späten Nachmittag endlich in Phaplu ankamen, genossen wir den Luxus einer handwarmen Dusche und frischer Kleidung. Als ich anschliessend in den Gastraum trat, wartete dort eine Überraschung auf uns. Schuldirektor Kumar Shrestha hatte es sich nicht nehmen lassen, uns wenigstens „Namaste“ zu sagen. Er war derzeit in Salleri, um alle wichtigen Formalitäten für das Goldene Jubiläum vorzubereiten und daher hatten wir ihn im Dorf nicht angetroffen. Schon bald sassen wir alle gemütlich im Gastraum beisammen, genossen unser Abendessen und plauderten vor uns hin.

Der Rückflug von Phaplu nach Kathmandu am nächsten Tag war für 09:30 Uhr angesetzt. Irgendwann hiess es dann 10:30 Uhr. Die nächste Information war, dass der Flug irgendwann nach 11 Uhr stattfinden wird. Jaja, da zeigte sich wieder mal das Organisationschaos von Nepal von seiner besten Seite. Aber es hilft ja nichts. Die Dinge kommen ja sowieso immer anders, als geplant. Hauptsache, der Flug fand überhaupt an dem Tag noch statt. Das tat er auch. Gegen 14:30 Uhr sassen wir dann alle in der Maschine im Landeanflug auf Kathmandu und freuten uns, dass wir nicht noch einen Tag länger in Phaplu warten mussten. Denn auch das war durchaus üblich.

Am späten Nachmittag des 03. Januar betraten wir schliesslich die Hotellobby und freuten uns auf eine heisse Dusche und etwas Ruhe. Pancha verabschiedete sich von uns, er wollte nun so schnell wie möglich zu seiner Frau und den beiden Söhnen heimkehren, die in Kathmandu auf ihn warteten. Er freute sich auf einen ruhigen Abend in seinem Zuhause, bevor am nächsten Tag ein kurzes Meeting mit dem Re:Help Team aus Kathmandu auf unserer gemeinsamen Agenda stand. Dieses Treffen fand um 09:00 Uhr in unserem Hotel statt und es wurden nocheinmal alle Details, welche wir bereits in Rapcha mit den verschiedenen Komitees besprochen haben, erläutert. Besonders gefreut habe ich mich darüber, den 23-jährigen Bergsteiger Narbin Magar kennenzulernen. Er ist der erste Mount Everestbesteiger aus der Region Rapcha und ein unglaublich symphatischer und aufgeschlossener junger Mann. Er hat die Umweltkampagne „safe the Himalayas for a safe future“ ins Leben gerufen. Sein Plan ist, die höchsten Berge aller sieben Kontinente zu besteigen und auf die Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Narbins erfolgreiche Besteigungen bisher: Mount Elbrus, Mount Kilimanjaro, Mount Everest und Mount Aconcagua. Narbin kam mit der Idee auf mich zu, auf seinen zukünftigen Besteigungen das Re:Help Logo zu hissen, quasi als Markenbotschafter für uns tätig zu sein. Er selbst hat die Schule in Rapcha besucht und weiss, wie extrem wichtig eine gute Schulbildung ist, um aus der Armut herauszukommen. Er findet unsere Arbeit sehr wichtig und möchte uns mit seinen, ihm zu Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Ich finde das eine hervorragende Idee!

Und so war der Vormittag schnell vorbei und anschliessend düsten wir noch kurz hinein ins Gewusel von Thamel um uns mit Souvenirs einzudecken und noch einmal die Smogluft von Kathmandu einzuatmen, bevor wir dann am frühen Abend in Panchas Haus zum Farewell-Dinner eingeladen waren. Es war ein sehr lustiges Beisammensein mit Pancha und seiner Familie und wir genossen die letzten Stunden in Nepal sehr.

Der Abschied von diesem wunderbaren, eigenwilligem Land fällt mir jedes Mal noch schwerer. Aber es ist ja nur ein Abschied auf Zeit. In Gedanken plane ich schon wieder die nächste Reise in „die Heimat meines Herzens“.