…wie wenig es braucht, um einem anderen Menschen zu helfen!

Liebe Mitglieder, sehr geehrte SpenderInnen!

Wunderbare Tage in Nepal liegen hinter Renate und Achim Kotz und wir freuen uns sehr darüber, dass wir Ihnen viele gute Neuigkeiten berichten dürfen. Die Projektreise war mit Hilfe der grossartigen Unterstützung des Vereins Shanti Leprahilfe e.V. und unseres nepalesischen Projektkoordinators Pancha Rai ein voller Erfolg. Hier der ausführliche Reisebericht von Renate Kotz, der Sie an den Erlebnissen in Nepal teilhaben lassen möchte.

Die Tage vor unserer Abreise war mir ein wenig bang zumute. Zwischen purer Vorfreude auf das Dorf und die Menschen, die mir so sehr am Herzen liegen, war ich doch etwas in meiner Euphorie gebremst. Würde uns Corona so kurz vor unserem Reisestart einen Strich durch die Rechnung machen? Wenn mich diese Pandemie eines gelehrt hatte, dann: es kann sich alles in der letzten Minute ändern. Aber die Götter meinten es gut mit uns und am 25.11. landeten wir am internationalen Flughafen von Kathmandu. Nun war meine Vorfreude kaum mehr im Zaum zu halten! Schon beim Betreten der Fahrgasttreppe des Flugzeugs beim Aussteigen kroch mir ein liebgewonner Geruch in die Nase. Der Duft der verbrannten Kräuter und Räucherstäbchen, welche in der ganzen Stadt vor sich hin qualmten. Draussen wartete Pancha bereits auf uns und wir freuten uns sehr, ihn nach zwei Jahren coronabedingter Nepal-Abstinenz endlich wiederzusehen. Die Fahrt ins Hotel war unterhaltsam wie immer, denn jeder hatte viel zu erzählen. Und als wir so durch die übervollen Strassen krochen, blickte ich aus dem Autofenster und versuchte mir vorzustellen, wie leer die Strassen hier während der Lockdowns wohl gewesen waren. Bei den Menschenmassen, die hier gerade unterwegs waren, fiel mir diese Vorstellung gerade äusserst schwer. Da unser Inlandsflug von Kathmandu zum kleinen Flughafen Phaplu für den nächsten Tag erst um 10:30 Uhr angesetzt war und wir daher nicht allzufrüh aufstehen mussten, trafen wir uns am Abend mit Bimala und Mukunda. Mukunda war bei meiner Rapcha-Reise im Jahr 2016 mein Übersetzer und seitdem standen wir regelmässig in Kontakt. Es war ein sehr netter, unterhaltsamer Abend mit den beiden, aber schon bald überfiel uns die Müdigkeit und wir verabschiedeten uns von ihnen.

Am nächsten Tag gab es leider nicht so gute Nachrichten. Nachdem wir über sechs Stunden am Inlandsflughafen auf unseren Flug gewartet hatten, bekamen wir gegen 15:30 Uhr die Meldung, dass unser Flug nach Phaplu ersatzlos gestrichen war. Die Stunden zuvor wurden wir immer wieder vertröstet. Schlechtes Wetter und Nebel hatten den Abflug verzögert, es musste auf besseres Wetter gewartet werden. Und nun flog die Maschine gar nicht. Na gut. So ist das halt in Nepal. Die Fliegerei ist immer eine reine Glückssache. Allerdings mussten wir uns jetzt schnell nach einer Alternative umsehen. Für uns kam nur die Fahrt im Geländewagen in Frage, da wir ja morgen im Dorf ankommen wollten. Wir hatten einen recht straffen Zeitplan für die wenigen Tage, die wir in Nepal waren. Also los! Das erste Mal auf dem Landweg nach Rapcha. Pancha organisierte uns einen recht vertrauenserweckenden Fahrer mitsamt Geländewagen, der uns hoffentlich sicher bis nach Phaplu fahren würde. Wir fuhren das erste Mal die Strecke, von der ich schon viel gehört hatte. Allerdings nur Schauergeschichten. Zuerst mussten wir uns durch die Rush Hour Kathmandus kämpfen. Es dauerte ewig, bis wir endlich die Stadt hinter uns gelassen hatten und die Strassen leerer wurden. Jedoch wurde die Asphaltdecke immer schlechter, je weiter wir uns Richtung Pahplu bewegten und die Schlaglöcher machten die Sache nicht einfacher. Die Maximalgeschwindigkeit mit der wir uns bewegten waren ca. 50 km/h. Nach vier Stunden waren wir froh, als wir aussteigen konnten und unser Quartier für die Nacht – irgendeine Unterkunft entlang der Strecke – bezogen, um ein paar Stunden zu schlafen, bevor es am nächsten Tag frühmorgens weiterging. Schlussendlich kamen wir am Folgetag um 13 Uhr nach ingesamt ca. dreizehn Stunden Autofahrt in Phaplu an. Hier wartete bereits ein bekanntes Gesicht auf uns. Kaman, der ältere Bruder von Pancha, hatte seit gestern auf unsere Ankunft in Phaplu gewartet. Kaman ist nicht nur unglaublich nett und hilfsbereit, er kann sogar ein wenig Englisch und er ist der beste Koch weit und breit! Er würde uns und die gesamte Shanti Mannschaft, welche in wenigen Tagen in Rapcha eintreffen wird, gemeinsam mit seinem Freund Khasbir verpflegen.

In Phaplu aßen wir schnell eine Kleinigkeit und luden unser Gepäck auf einen kleineren, wendigeren Geländewagen um, da der Fahrweg ins Dorf Rapcha sehr steil und abschüssig ist. Gute vier Stunden Fahrt lagen jetzt noch vor uns. Auf der Fahrt ins Dorf musste ich so manches Mal die Augen zu machen und mein Puls schnellte mehrfach in Höhe. Aber unser Fahrer hatte sein Fahrzeug sehr gut im Griff und auch die schwierigen Passagen – ich würde sagen 80% der gesamten Strecke – hat er wirklich hervorragend gemeistert. Mit einem grossen Hupkonzert fuhr er uns direkt vor den Eingang der neuen Mädchenunterkunft, welche für die nächsten Tage unsere Herberge sein sollte.

Dort wurden wir mit einem grossem Hallo von unserem Team begrüßt. Khasbir, Chandra, Jobir, Ananda, einige LehrerInnen der Shree Basakhali Secondary School (SBSS), meine mir so lieb gewonnene Rasdhani (Kamans Frau), Jeni (sie wird immer noch hübscher), die Erzieherin unseres Kindergartens Narmaya und viele andere hatten in der neuen Mädchenunterkunft, welche wir am Folgetag offiziell an die Vertreter der SBSS übergeben wollten, auf uns gewartet. Ich war so glücklich, sie alle gesund und fröhlich wiederzusehen. Als nächstes besichtigen wir das Girls Hostel, welches schon von Aussen einen unglaublich schönen Eindruck machte. Pancha zeigte uns das Gebäude, erklärte dies und das, meinte, es sei noch nicht komplett fertiggestellt. Da hatte er Recht. Denn drinnen tummelten sich noch die Handwerker und versuchten ihr Bestes, die letzten Arbeiten vor der Übergabe zu erledigen. Rabi war noch fleissig beim Stromkabel verlegen und in der Dusche war man noch dabei, die Armaturen zu installieren. Der Anstrich war noch nicht perfekt, also wurden Farbeimer und Pinsel hervorgeholt und Pancha trieb alle bis in die späten Abendstunden an, damit alles für die grosse Einweihungsfeier perfekt aussah. Ich vergass die mühsame Anreise und die Strapazen schnell, denn meine Freude bei der Besichtigung der Mädchenunterkunft war groß. Das Haus verfügt über insgesamt zwölf schlichte Doppelzimmer, welche bei Bedarf mit Stockbetten ausgestattet werden können, um mehr Mädchen unterzubringen. Im durch ein Oberlicht sehr hellen Zentralbereich befindet sich der Aufenthaltsraum mit anschließender Küche. Im Haus gibt es eine Dusche und ein WC, im Außenbereich befinden sich zwei weitere Toiletten.

Nach einer sehr ruhigen Nacht wurde ich rechtzeitig zum Sonnenaufgang wach und ich genoss den Anblick auf den Berg Numbur, welcher ständig sein weisses Gipfelkleid trägt. Heute war ein grossartiger Tag und ich freute mich auf die Einweihungsfeier der Mädchenunterkunft. Alle waren schon emsig auf den Beinen, um den Vorplatz der Mädchenunterkunft festlich zu gestalten. Stühle, Bänke und Tische wurden angeschleppt, hunderte bunte Wimpel flatterten an den Bändern, welche über den Platz gespannt waren im Wind und ein grosses Plakat wurde aufgehängt. Direkt nach dem Mittagessen ging die Feier an der unterhalb des Girls Hostels gelegenen SBSS los. Alle SchülerInnen versammelten sich, die Vertreter der Schule und Bezirksregierung nahmen ihr Plätze ein und dann marschierten wir, angeleitet von einer lokalen Grupper Musiker, welche auf Blechinstrumenten ziemlich schräge Töne von sich gaben, hinauf zur Mädchenunterkunft. Es war ein schönes Fest, die Sonne strahlte vom blauen Himmel und viele Dorfbewohner waren gekommen, um einen Blick in das Gebäude zu werfen und um mitzufeiern. Die SchülerInnen zeigten wunderbare Tänze, sogar die Kindergartenkinder hatten eine kleine Showeinlage einstudiert und natürlich wurden viele Reden gehalten. Der Abend fand einen gemütlich Ausklang im Aufenthaltsraum des Girls Hostels, denn alle HelferInnen waren zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Was für ein wunderbarer Tag!

Am nächsten Morgen besuchten wir den von Re:Help finanzierten Kindergarten, welcher 2017 in Betrieb genommen worden war. Die Kinder sassen vor dem Gebäude auf der Wiese und waren in ihr fröhliches Spiel vertieft. Erzieherin Narmaya begrüßte uns und auch Ananda kam dazu. Ananda war der Bauleiter dieses wunderschönen Kindergartens. Er umarmte die Kinder, drückte sie an sich und strahlte über das ganze Gesicht. Ich fragte ihn: „Was fühlst du, wenn du hier bist, den Kindergarten siehst und die Kinder, die hier betreut werden?“. Er sah mich mit seinen großen Augen an und sagte: „Ich bin sehr, sehr glücklich!“. Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn ich wusste, wieviel ihm dieser Kindergarten bedeutete. Es war ein Herzenwunsch von ihm, dass die Kinder von Rapcha hier einen sicheren Platz zum Spielen und zur Entfaltung haben. Vor Kurzem ist Ananda zum ersten Mal Großvater geworden. Seinen Enkel durfte ich kennenlernen und ich freue mich sehr, dass er den Kindergarten besuchen wird, den sein Opa so liebevoll mitaufgebaut hat.

Als kleine Geschenke überreichten wir an die Kindern Softbälle (DANKE dafür Mary) und Malsets. Sogleich verwandelten sich die Kinder zu kleinen Messies und Ronaldos und wir alle hatten einen Riesenspaß. Der Kindergarten erfreut sich nach vor großer Beliebtheit und ist eine nicht mehr wegzudenkende Einrichtung. Narmaya macht seit ihrem ersten Arbeitstag im Kindergarten vor vier Jahren einen großartigen Job als Erzieherin und wir sind sehr dankbar dafür, mit ihr eine so loyale und ehrgeizige Arbeitskraft gefunden zu haben.

Beim anschliessendem Meeting mit dem Schulkomitee der Shree Basakhali Secondary School besprachen wir die noch offenen Punkte der Mädchenunterkunft, dessen Finanzierungsplan und die Vorgehensweise unseres Zukunftsprojekts „Jungenunterkunft“. Dieses Projekt werden wir in Angriff nehmen, wenn wir Erfahrungswerte beim Girls Hostel sammeln konnten, was in etwa einem Jahr der Fall sein wird. Abschliessend zum Meeting überreichten wir an den stellvertretenden Schuldirektor Man Bahadur Rai einen Spendenscheck in Höhe von EUR 2000,- für den Kauf wichtiger Unterrichtsmaterialien, der sich im Namen der gesamten Schule für die großartige Hilfe bedankte. Seit mittlerweile neun Jahren unterstützen wir nun schon die SBSS. Anfangs natürlich nur mit kleinen Summen – unser Verein steckte damals noch in den Kinderschuhe – aber von Jahr zu Jahr wuchs Re:Help und damit auch die Projekte, die wir umsetzen konnten. Als ich 2012 gemeinsam mit meinem Mann entschieden habe, den Verein zu gründen, war einer der Hauptgründe der, dass wir genau wissen möchten, wohin jeder Spendeneuro fliesst. Durch die transparente Zusammenarbeit mit der Dorfgemeinschaft ist dies definitiv der Fall.

Zum Mittagessen waren wir bei Kamans Familie eingeladen. Auf der offenen Feuerstelle stand ein großer Topf und ich konnte nicht wirklich erkennen, was dort gerade vor sich hin brodelte. Aber das ist ja auch nicht so wichtig. Solange Kaman und Khasbir den Kochlöffel schwangen, konnte ich alles bedenkenlos essen. Wir nahmen auf den Bambusmatten, die rund um die Feuerstelle auf dem Lehmboden lagen, Platz und unterhielten uns – Dank der Übersetzung von Pancha und Kaman – mit Rasdhani und ihrer Mutter, welche neben mir sass. Sie erzählte, dass sie heute ihre Covid-Impfung erhalten hatte. Verwundert sah ich sie an, denn ich konnte kaum glauben, dass in solch abgelegenen Regionen wie Rapcha Impfungen verabreicht wurden. Aber Pancha erklärte, dass ab und zu das Gesundheitsministerium jemanden schickt, um die ältere Generation zu impfen. Der Fortschritt sei langsam, aber immerhin!

Für heute stand aber noch ein wichtiges Ereignis auf der Agenda. Die Ankunft des Teams des Vereins Shanti Leprahilfe e.V.. Die Organisation betreibt in Kathmandu u.a. ein eigenes Krankenhaus mit bestens ausgebildetem Personal und ursprünglich war geplant, dass ein Ärztinnen-Team aus Deutschland, welche Vereinsmitglieder bei Re:Help sind, gemeinsam mit Shanti ein Gesundheitscamp abhielten. Jedoch wurde diese gemeinsame Reise coronabedingt nochmals um ein Jahr verschoben. Dennoch wird dringend ärztliche Versorgung im Dorf benötigt. Bei einem Telefonat mit Shanti Gründerin Marianne Grosspietsch machte sie mir den unglaublichen Vorschlag, ihr Team trotzdem nach Rapcha zu schicken. Was für ein Geschenk! Mit Hilfe von Shanti – in Nepal als Shanti Sewa Griha bekannt – sollen nun die Dorfbewohner die großartige Möglichkeit bekommen, an zwei Tagen wichtige medizinische Behandlungen in den Bereichen Dentologie, Gynäkologie, Allgemeinmedizin und Opthalmologie zu erhalten – und das alles kostenlos!  Die meisten Nepalesen können sich einen Arztbesuch nicht leisten, die Menschen leben hauptsächlich von Ackerbau und Viehzucht und seit dem Ausbruch der Coronapandemie ist der wichtigste Wirschaftszweig des Landes – der Tourismus – komplett zum Erliegen gekommen. Dank der großherzigen Unterstützung von Shanti bekommen die Dorfbewohnern endlich einen Zugang zur medizinischen Grundversorgung, die vielen Menschen in den abgelegenen Dorfregionen Nepals aufgrund der nicht vorhandenen medizinischen Infrastruktur verwehrt bleibt. Ich freute mich sehr auf die Ankunft des Shanti Teams, welches sich mit zwei Autos von Kathmandu auf den Weg nach Rapcha gemacht hatten und war gespannt auf die nächsten Tage.

Die Sonne ging unter und es wurde schon dunkel, aber immer noch keine Spur vom Shanti Team. Unser Abendessen wurde serviert und wir machten uns große Sorgen, ob sie denn alle heil im Dorf ankommen würden. Die „Strasse“ nach Rapcha war uns nur allzubekannt und diesen Weg im Dunkeln zu fahren ist extrem gefährlich wenn nicht sogar lebensgefährlich. Es folgten bange Stunden des Wartens. Die Stimmung bei uns und dem gesamten Team war ein wenig gedrückt, ein jeder war in Sorge. Im Viertelstundentakt ging ich vor die Tür und lauschte gespannt, ob ich Motorengeräusche hören konnte. Nichts. Nur das Bellen der Hunde war zu hören, welche tagsüber schliefen und nachts zur Hochform aufliefen. Es war ein bisschen wie das Warten auf das Christkind. Keiner wusste, wann das Glöckchen läuten wurde. Und dann waren sie da. Hurra! Alle sind heil geblieben. Schnell die Blumenketten hervorgeholt, die Mannschaft aufgestellt und schon wurden die Shanti Mitarbeiter freudig begrüßt. Der Zeiger der Uhr stand auf 22:30 Uhr. Phu! Alle sahen sehr müde aus und die Anspannung der letzten Stunden der Fahrt stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Schnell zauberten Kaman und Khasbir das nepalesische Nationalgericht „Dal Baht“ in ihrer kleinen Küche, welches die Shanti Mannschaft gerne annahm. Kurze Zeit später verkrochen sich alle in ihre Zimmer und schon bald stellte sich die Nachtruhe ein.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war das Shanti Team schon draußen und machte fleissig Bilder vor der schönen Bergkulisse. Auch heute strahlte die Sonne vom blauen Himmel und alle waren fröhlich und gut gelaunt. Ich freute mich sehr, dass sie alle den weiten Weg gekommen waren, um den Menschen in Rapcha zu helfen. Die Eröffnung des Gesundheitscamps war für 10 Uhr angesetzt. Schnell wurden die Autos mit dem Equipment entladen und alles zur Schule getragen. Für zwei Tage wurden die Klassenräume der SBSS in Behandlungsräume, Medikamentenausgabe und Labor umgestaltet. Am ersten Tag sollen die rund 350 Schüler der SBSS untersucht werden. Am Folgetag waren die Bewohner aus dem Dorf und den umliegenden Gemeinden eingeladen, sich untersuchen zu lassen. Nach einer kurzen Eröffnungsansprache von Shanti-Projektkoordinator Bijendra Kunwar und der Vorstellung seines Team gings dann auch zügig zur Sache. Alle bezogen ihren Posten, die Kinder wurden nach ihren Schulklassen aufgeteilt und mussten sich zuerst ausgiebig die Hände desinfizieren und einen Mund-Nasen-Schutz aufsetzen, danach folgte die Registrierung in einer Liste. Angefangen wurde bei den Kleinsten, Kindergartenkinder und Mütter mit ihren Neugeborenen hatten den Vortritt.

Es war ein emsiges Treiben und ich schaute bewundernd zu, wie gut das Shanti Team alles geplant hatte und umsetzte. Als Erstes mussten die Kinder ins Zimmer der beiden Allgemeinärzte. Viele SchülerInnen waren sehr zurückhaltend vor diesen beiden Männern, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Aber mit jeder Menge gutem Zureden und Einfühlungsvermögen schafften es die Ärzte, dass die Kinder sehr schnell ihre Scheu ablegten. Ich ging in den nächsten Behandlungsraum, welcher als Zahnarztpraxis umgestaltet worden war. Auch hier sassen schon die ersten, kleinen Patienten und warteten auf ihre Untersuchung. Anhand eines großen Gebisses erklärten die Ärztinnen, wie die Zähne richtig geputzt werden und worauf man achten soll. Noch mussten keine Zähne gezogen werden. Allerdings lagen die Zangen und Spritzen schon bereit und diese sollten nicht lange auf ihren Einsatz warten müssen. Kurze Zeit später musste bei einem Jungen der Backenzahn daran glauben. Nachdem die Ärztin ihn untersucht hatte, schaute er tapfer dabei zu, wie sie die Spritze aufzog und zur Schale mit den Zangen griff. Mir trat der Schweiss auf die Stirn und ich versuchte, mir meinen Qualen, welche ich für diesen Jungen litt, nicht anmerken zu lassen. Allerdings verzog er keine Miene, als die Zahnärztin mit der Nadel ins Zahnfleisch stoch. Er gab keinen Mucks von sich. Nicht einmal die Augen kniff er zusammen. Und nach kurzer Einwirkzeit des Betäubungsmittels zog sie ihm den Zahn ganz galant aus dem Kiefer. Der Junge verzog immer noch kein Gesicht. Und ich schämte mich, weil ich so eine Memme bin.

Im nächsten Raum sass Augenarzt Dr. Pushpa Babu Basnet und untersuchte gerade ein Mädchen. Zuvor hatte dieses draussen auf dem Schulhof den Sehtest gemacht und war nun mit ihrem Zettel mit der Auswertung des Tests zu ihm geschickt worden. Ausgiebig schaute er sich mit seinen Gerätenschaften ihre Augen an, machte sich Notizen und nickte mir irgendwann zu. „Sie hat sehr gute Augen.“, meinte er zufrieden. Auf Nepalesisch wiederholter er den Satz nochmal an das Mädchen gewandt und dieses strahlte ihn an.

Es war schon nach Eins als wir kurz in die Mädchenunterkunft gingen, um eine Kleinigkeit zu Mittag zu essen. Und, um einen mir sehr wichtigen Gast in Empfang zu nehmen. Frauenärztin Dr. Madankini Shrestha war erst heute morgen mit dem Flugzeug aus Kathmandu nach Phaplu geflogen (sie hatte Glück) und war mit dem Jeep unterwegs nach Rapcha. Sie sollte jeden Moment eintreffen, daher wartete ich auf sie. Kurze Zeit später bog auch schon das Auto um die Ecke und parkte vor dem Girls Hostel. Wir waren uns sofort sympathisch, als ich sie begrüßte und ihr sagte, wie sehr wir uns alle auf sie gefreut haben und wie dankbar ich ihr bin, dass sie die weite Reise nach Rapcha auf sich genommen hatte. Schnell verspeiste sie ihr Dal Baht, war noch am Kauen, als sie die Mädchenunterkunft verliess und mit ihrem Equipment zur Schule ging. Nach einer kurzen Orientierung fing sie sofort mit ihrer Arbeit an, denn die ersten Patientinnen warteten bereits vor der Tür. Es sollte für sie von allen Medizinern der längste Tag werden.

Mit dem Schulschluss um 16 Uhr wurde auch das Ende des ersten Tags des Health-Camps eingeläutet. Alle Schüler der SBSS hatten sich untersuchen lassen und beim gemeinsamen Abendessen mit dem Shanti Team war das Fazit durchaus positiv. Die meisten SchülerInnen waren kerngesund, nur wenige hatten ernährungsbedingte Mangelerscheinungen und auch die Menge der Zähnen, welche gezogen worden waren, waren durchaus im Rahmen geblieben. Beim Gespräch mit Allgemeinmediziner Dr. Shankar Phuyal ging dieser etwas genauer ins Detail. Ihm war aufgefallen, dass  eine spezielle Altergruppe – die 12 bis 15 Jährigen – oftmals unter einer Blasenentzündung zu leiden hatte. Er erklärte uns, dass dies daher rührte, weil viele der Kinder kein ordentliches Schuhwerk besitzen. Oft laufen sie nur in FlipFlops rum und hätten deshalb ständig kalte Füße, was eine Entzündung der Blase begünstigt. Dem könnte man mit warmen Schuhen schnell Abhilfe schaffen.

Als Letzte stiess die Gynäkologin Madankini Shrestha zu unserer Gruppe. Erschöpft liess sie sich auf einen freien Platz sinken und wir kamen ins Gespräch. Sie hat vor Kurzem ihr Studium abgeschlossen und arbeitet seit sechs Monaten in einem Krankenhaus in Kathmandu. Als die Anfrage von Shanti Sewa Griha kam, ob sie ein Health Camp in der Solukhumbu-Region unterstützen möchte, sagte sie sofort zu. Sie meinte, es sei sehr wichtig, dass auch die Frauen in den abgelegenen Regionen Zugang zu einem Arzt der Frauenheilkunde ermöglicht wird. Ich erzählte ihr, dass ich bei meinem letzten Besuch im Dorf vor zwei Jahren ein Frauenmeeting abgehalten hatte und die Dorfbewohnerinnen sehr offen über ihre Probleme gesprochen hatten. Seitdem hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen und ich bin ihr unglaublich dankbar dafür, dass sie dem Ruf von Shanti gefolgt ist. Ich fragte sie, ob ich am nächsten Tag einmal kurz zu ihr in das Behandlungszimmer gehen durfte, um ein paar Fotos zu machen, während sie im Patientengespräch ist. Alle anderen Türen der Mediziner stehen ja weit offen und jeder kann einen Blick hineinwerfen oder Fotos machen. Sehr transparent also so ein Arztbesuch in Nepal! Nur bei ihr bleibt die Tür geschlossen- was absolut richtig ist! Gerne war sie breit, mich am nächsten Tag für einen kurzen Moment an ihrer Arbeit teilhaben zu lassen.

Am nächsten Morgen waren alle wieder früh auf den Beinen. Heute war der Tag, an dem die BewohnerInnen aus dem Dorf und den umliegenden Gemeinden zum Health Camp eingeladen waren und das Shanti Team wollte pünktlich um 10 Uhr seine Arbeit beginnen. Ich wuselte noch in meinem Zimmer herum, als Pancha nach mir rief. Er wollte mir unbedingt seine Schwiegermutter vorstellen, die aus dem nächsten Dorf – etwa drei Stunden Fußmarsch von hier – gekommen war, um die Ärzte zu sehen. Die Frau war 83 Jahre alt! Und es war noch nicht einmal neun Uhr morgens. Das heisst, sie hatte sich gegen sechs Uhr auf den Weg gemacht. Diese Frau hatte meine Hochachtung verdient.

Ich ging zur Schule, um auch heute beim Health Camp teilzuhaben, mich mit Leuten, die ein wenig Englisch sprachen, zu unterhalten und um Fotos zu machen. Viele Menschen hatten von der Möglichkeit gehört, hier an der Schule medizinische Versorgung zu erhalten. Mütter trugen ihre Babys in einem Korb auf dem Rücken, viele Alte wurden gestützt durch ihre Kinder oder Enkel zur Schule begleitet. Manche hatten ihr feinstes Gewand angezogen, andere wiederum trugen nur noch löchrige Kleidung am Leib. Auch heute mussten alle Patienten sich zuerst registrieren, im Anschluss wurde der Blutdruck gemessen, bei vielen folgte dann gleich die Messung des Blutzuckers. Als eine Patientin aus dem Besprechungsraum der Frauenärztin trat, schlüpfte ich in den Raum und machte ein paar Bilder von der Ärtzin und ihrer Patientin, die jetzt an der Reihe war. Das Gesicht kam mir doch bekannt vor! Klar! Es war Anandas Frau Mansali. Sie hatte damals, als wir vor einigen Jahren mit einem Kameramann im Dorf waren, in einem Clip ihre fünf wichtigsten Gegenstände vorgestellt. Wie schön, dass auch sie die Möglichkeit nutzte, um in die Sprechstunde bei Frau Dr. Shrestha zu kommen.

Am späteren Nachmittag überreichte das Shanti Team an die Dorfgemeinschaft zwei Nähmaschinen mit „Fußantrieb“. Hintergrund war der, dass die weibliche Bevölkerung in Nepal sich keine Damenhygiene-Artikel leisten kann. Mit Hilfe der Nähmaschinen konnte eine äußerst kostengünstige und nachhaltige Alternative geschaffen werden. Zwei Frauen aus dem Dorf sollen erlernen, wie man Damenbinden aus Baumwollstoff näht. Den entsprechenden Nähkurs stellt Shanti in ihrer Einrichtung in Kathmandu zur Verfügung – natürlich kostenlos. Ausserdem erhielt die Schule einen riesigen Karton mit Turnschuhen. Diese sollen an die SchülerInnen verteilt werden, die kein ordentliches Schuhwerk besitzen. Und obendrein wurden alle Medikamente, die vom Gesundheitscamp übrig geblieben waren, der örtlichen Health Post von Rapcha überlassen.

Shanti hatte aber noch einen wahren Schatz dabei! Litho! Ein äusserst nahrhaftes Pulver, welches zu Brei verarbeitet werden kann oder einfach unter das Essen gemischt wird. Ausserdem lässt sich damit köstliche Kekse backen (ich habe sie probiert- sie schmecken wirklich himmlisch!). Litho besteht aus neun Zutaten, unter anderem Reis, Soyabohnen, Kichererbsen, Muskatnuss, Weizen, Erbsen, Mais,… Die Zutaten wurden geröstet und dann zu einem feinem Mehl vermahlen. Damit können schwache Kinder oder auch die ältere Generation, die unter Mangelerscheinungen leiden, sehr schnell wieder aufgepäppelt werden. Auch von diesem hatte Shanti bereits während der beiden Tage des Health Camps einige Packungen an die Menschen verteilt, die es dringend benötigen. Der Rest wurde nun an die Dorfgemeinschaft überreicht, damit der Bedarf für´s Erste gedeckt ist.

Nun ging also der zweite Tag des Gesundheitscamps zu Ende, die Sonne verschwand hinter Ratnangi Danda und langsam kam das Shanti Team hinauf zu Mädchenunterkunft, verlud die Ausrüstung in ihre Autos und freute sich auf den wohlverdienten Feierabend. Ich sass in einer fröhlichen Runde mit einigen Frauen aus dem Team vor dem Haus, wir tranken Tee und liessen die letzten zwei Tage Revue passieren. Da kam Hem Kumar Rai (er hat mit dem Augenarzt zusammengearbeitet) in Begleitung eines älteren Mannes zu uns und erklärte, der Mann sei fünf Stunden gewandert, damit er die Ärzte sehen kann. Und nun musste er feststellen, dass er zu spät gekommen ist.  Der Alte sah sehr müde und enttäuscht aus. Wir boten ihm einen Stuhl an, damit er sich ein wenig ausruhen konnte. Sogleich wurde ihm eine Tasse Tee gereicht und das Shanti Team fing sofort an, sich um ihn zu kümmern. Das Auto wurde aufgeschlossen, das Equipment herausgeholt, Blutzucker und Blutdruck gemessen, Hem Kumar sah sich sein entzündetes Auge an, wegen dem er gekommen war, ein Allgemeinmediziner untersuchte ihn, fragte ihn nach seinen Beschwerden,…. es wurde ihm über den Kopf gestreichelt, mit netten Worten gut zugeredet. Und ich? Ich war zu Tränen gerührt, mit welcher Liebe und Fürsorge sie sich alle um diesen Mann kümmerten. Diese Szene berührte mein Herz! Da der Mann nur mit einem kurzärmeligen Hemd bekleidet war, er aber noch einen langen Heimweg vor sich hatte und die Temperaturen nachts auf ca. 4-5 Grad fallen, zog Kanchan kurzerhand ihre Daunenjacke aus und schenkte sie dem Mann. Ausserdem erhielt er ausreichend Medikamente und einige Packungen Kekse für den Heimweg. Ich überlegte, was der Mann noch brauchen könnte. Klar! Er braucht Licht! Also holte ich schnell eine Wollmütze mit inkludierter Stirnlampe aus meinem Zimmer, nahm auch die beiden Mandarinen mit, die auf dem Tisch lagen und freute mich, dass auch ich dem Mann eine Kleinigkeit schenken konnte. Können Sie sich das Strahlen im Gesicht des Alten vorstellen? Er war so traurig, als er zu uns kam und nun drehte er sich um, lächelte und winkte uns zu und machte sich fröhlich auf seinen Heimweg.

Und mit dieser Geschichte beende ich meinen Reisebericht. Sie ist das Sinnbild dafür, was Nächstenliebe bedeutet und wie wenig es braucht, um einem anderen Menschen zu helfen. Die Zeit im Dorf ist jedesmal sehr eindrücklich, doch dieses Mal war es ein ganz besonderer Aufenthalt. Über 900 Menschen haben das Health Camp besucht und medizinische Versorgung erhalten. Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass wir mit Marianne Grosspietsch und Ihrer Shanti Leprahilfe e.V. einen PartnerIn auf Augenhöhe gefunden haben und wir diese Zusammenarbeit fortführen werden. Natürlich hat auch Shanti allerlei Kosten und man freut sich sehr über Spenden! https://shanti-leprahilfe.de/de/verein/spenden

Liebe SpenderInnen, liebe Mitglieder, liebe UnterstützerInnen! Im Namen von Re:Help, der Dorfgemeinschaft von Rapcha, den zukünftigen Bewohnerinnen der Mädchenunterkunft und allen Besuchern des Gesundheitscamps danke ich Ihnen allen von Herzen für Ihr Vertrauen, das Sie uns schenken. Dank Ihrer Unterstützung ist es uns möglich, dort Hilfe zu leisten, wo sie dringend benötigt wird.